Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.2002,
Nr. 246, S. N3
Kapitalismus als Utopie Von Swift lernen
Es gibt
sozialphilosophische Bücher, die nicht nur, ja nicht einmal vordringlich die
Profession beschäftigen, sondern für einige Jahre oder gar Jahrzehnte die
Identitätsstiftung politischer Bewegungen besorgen. Auf der antiglobalistischen
Linken ist es noch immer "Empire" von Antonio Negri und Michael Hardt, das im
Zentrum der Diskussionen steht. Und wenn die dritte Auflage binnen eines Jahres
ein Indikator ist, dann erfüllt für die Rechte in den Vereinigten Staaten
gegenwärtig das Buch eines Wirtschaftstheoretikers diese Funktion: Es verbindet
die reine Lehre des reinen, ultraliberalen Kapitalismus mit dem
Gesellschaftsbild der hartgesottenen Konservativen (Hans Hermann Hoppe:
"Democracy: The God that failed". The Economics and Politics of Monarchy,
Democracy, and Natural Order. Transaction Publishers, New Brunswick und London
2002).
Hoppe, Jahrgang 1949, wurde in Frankfurt am Main promoviert und
habilitiert, gegenwärtig unterrichtet er Wirtschaftswissenschaften an der
Universität von Las Vegas. Ein Scherz mit dem Begriff "Kasino- Kapitalismus"
liegt nahe, aber er würde den ernsthaften Kern von Hoppes Ideen verkennen. Schon
der Titel ist eine Provokation, die zu dem Erfolg des Buches beigetragen haben
mag. Während hierzulande die Matadore der freien Wirtschaft wie Hans-Olaf Henkel
die Demokratie- und Menschenrechtsgewinne des Kapitalismus rühmen, macht Hoppe
die Verlustrechnung der Demokratie auf.
Die große Erzählung vom
Fortschritt, der in der Überwindung der Monarchie lag, wird revidiert. Hoppes
Hauptargument lautet, daß ein Monarch, den er sich als Privateigentümer eines
gegebenen Landes vorstellt, als rationaler Homo oeconomicus gar nicht anders
könne, als für die langfristige Wertsteigerung seines Gebietes Sorge zu tragen.
Dagegen sei mit der Demokratie (die Hoppe nicht historisch, sondern systematisch
betrachtet) schon der Weg zum Umverteilungsstaat beschritten, der sich im Laufe
der Zeit nur verfestige: Wo die Sachwalter des Gemeinwesens kein Privatinteresse
mehr an diesem haben (es etwa ihren leiblichen Erben zu hinterlassen), wachse
die Bedeutung kurzfristiger Überlegungen, um begehrliche Schichten der
Bevölkerung zufriedenzustellen. Hoppe sieht den Zusammenbruch der Sozialsysteme
voraus, denen es wie der ehemaligen Sowjetunion ergehen werde.
Das ist
eine Konstruktion, die erkennbar am Reißbrett der reinen Theorie entworfen
wurde. Denn es waren ja gerade jene Staaten, die am ehesten dem Bild des
Monarchen als Privateigentümer entsprachen - etwa das absolutistische Frankreich
-, die den Schutz langfristiger Güter zugunsten von kurzfristigen Genußgütern in
den Wind schrieben. Nachdem unter Ludwig XIV. die Staatsschulden die -einnahmen
überstiegen hatten, ließ sich sein Nachfolger auf die phantastischen
Finanzierungsideen von John Law ein: Papiergeld-Experimente folgten, bei denen
am Ende gar der Besitz von privatem Tafelsilber untersagt wurde. Historisch
konkreter (und überzeugender) wird Hoppe dort, wo er die Vorzüge des Reichs der
Habsburger hervorhebt und feststellt, daß die demokratische Interventionspolitik
der Vereinigten Staaten im Ersten Weltkrieg nicht nur positive Wirkungen hatte,
sondern zur Ideologisierung des Krieges beitrug, der andernfalls womöglich eine
pragmatische Friedensregelung zum Ergebnis gehabt hätte.
Vor allem Hoppes
grundsätzliche Kritik an der gegenwärtigen Einwanderungspolitik der westlichen
Industrienationen dürfte es sein, die sein Buch den Konservativen sympathisch
machen wird. Er spricht von einer Ideologie der staatlich erzwungenen
Integration (forced integration). Auch hier argumentiert er rein wirtschaftlich:
Monarchen hätten, wie etwa Friedrich II. im Fall der Hugenotten, die Tendenz,
qualifizierte Einwanderung zu fördern (und, wie im England des frühen
neunzehnten Jahrhunderts, qualifizierte Auswanderung zu bremsen), während der
Egalitarismus der Demokratie in dieser Frage eher auf Gleichgültigkeit
hinauslaufe. Hier ließe sich sogar noch ein verschärfendes Argument anbringen:
Regierungsparteien können sich durch gelockerte Einbürgerungsgesetze zugleich
eine große Zahl potentieller Wähler verschaffen, während Parteien mit
restriktiveren Vorschlägen dauerhaft in eine strukturelle Lücke geraten
könnten.
Aber wird nicht die Konkurrenz der Parteien jedenfalls dazu
führen, daß sozialstaatliche Auswüchse der Umverteilung irgendwann wieder
zurückgenommen werden? Hoppe ist skeptisch: Gewinnen werde die Wahlen immer nur,
wer neue Versprechungen machen könne, der "Demagoge". Die "erzwungene
Integration" werde man nur rückgängig machen können, wenn das Recht der
Privateigentümer wieder den Primat erhalte. Und dazu gehöre nicht zuletzt das
Recht auf Ausschluß. Ein Unternehmer müsse frei darüber entscheiden können, wen
er einstellt und wen er beliefert. Man denkt dabei an einen Fall, der kürzlich
aus der Bundesrepublik berichtet wurde: Einer Kassiererin in einem Supermarkt
war gekündigt worden, weil sie als Muslima ein Kopftuch trug. Das zuständige
Gericht entschied, daß die Kündigung nicht rechtens sei; Hoppes Lehre dagegen
würde das Gegenteil verlangen. Wo in dieser Konstruktion das Arbeitsrecht
bleibt, darüber schweigt er sich aus. Sein Buch ist konsequent wie jeder
selbstgenügsame Radikalismus. In die wirkliche Politik führt von hier aus kein
Weg mehr: Hoppes Utopie des staatsfreien Kapitalismus läuft auf Sezessionen
hinaus, auf eine Welt der Kleingebilde nach dem Muster von Singapur,
Liechtenstein und Monaco. Man sollte Hoppes Buch als ein ernstes Werk lesen,
aber auch als ein Dokument swiftscher Übertreibungskunst dieses literarisch
hochgebildeten Autors.
LORENZ JÄGER
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